Der Sache auf den Grund gehen – Root Causes oder doch Symptome?

Die Welt zerbricht - und wir kümmern uns um die Symptome statt um die Ursachen

Zerbricht die Welt vor unseren Augen? 

Viele Menschen sind müde, vor allem in Bezug auf die Arbeit. In ihrem Time Artikel beschreibt Emily Ballesteros, was sie als die Root Causes von “The Great Exhaustion” ansieht: Unnachhaltige Lebensweisen, Stressbelastung ausserhalb unserer Kontrolle und finanzielle Unsicherheit.

“Blue Zones” nennt sie die Orte, wo Menschen ihren menschlichen Bedürfnissen nachgehen: gesund essen, Bewegung, soziale Kontakte. Dort leben Menschen länger als anderswo. Diese nachhaltigen Lebensweisen kontrastieren grundlegend mit der Fast-Food-Gesellschaft, prozessierten Lebensmitteln, langen Arbeitstagen alleine im Home Office, den ganzen Tag auf dem Bürostuhl – ein Leben, das Business-Bedürfnissen dient.

Stress ausserhalb unserer Kontrolle erleben wir tagtäglich in den Medien. Jede schlechte Nachricht von Wetterkatastrophen, Kriegen, persönlichen Schicksalen löst eine Mikro-Stressreaktion aus. Über Jahre hinweg schadet dies unseren Blutgefässen und zehrt uns mental aus. Der Konsum an Social Media steigt dennoch ständig an – Sucht zeichnet sich dadurch aus, dass wir wissen, dass wir uns schaden und es dennoch tun.

Für viele ist finanzielle Sicherheit nur noch mit zwei Jobs möglich, Inflation und Krankenkassen fressen den Lohn auf. Ein Lebensstil mit einem Kino- oder Restaurantbesuch zwischendurch stellt für einige Luxus dar. Das führt zu Überlastung und zu einem Gefühl der Ohnmacht – beides Gründe für Erschöpfungsgefühle.

Was ist nun der Vorschlag der Autorin, um mit der grossen Erschöpfung in diesen drei Bereichen umzugehen?

  • Kluge Entscheidungen treffen
  • Auf Medienkonsum verzichten
  • Genügend schlafen
  • In der Freizeit die Arbeit liegen lassen
  • Nicht auf Veränderung von oben warten, sondern die kleinen Bereiche des persönlichen Einflusses wahrnehmen

Zugrunde liegende Probleme angehen, nicht Symptome bekämpfen

Mit diesem Finger wird viel gezeigt: Das Individuum ist in der Pflicht. Tue etwas, verändere dich, dein Verhalten ist das Problem. Das kann für eine einzelne Person gut funktionieren. Aber das Problem lösen wir damit nicht, wir verstärken es. Das Leid, das durch das Kaschieren der Symptome unsichtbarer wird, verlängert sich.

In Organisationen beispielsweise fragen wir uns nicht, wie wir gemeinsam unsere Wertschöpfung so verteilen können, dass alle finanzielle Sicherheit erlangen. Wir organisieren Lohn weiterhin nach Rang, Kompetenz und Erfahrung mit riesigen Unterschieden in verschiedenen Branchen. Sind das die passenden Kriterien, wenn wir wirklich finanzielle Sicherheit für alle wollen, damit die “grosse Erholung” einsetzen kann?

Ebenso halten wir den Gestaltungsraum in Organisationen oft klein, mit klaren Hierarchien, in denen die meisten Menschen ihre Fähigkeiten zu entscheiden beim Eingang abgeben. Chef:in denkt, Mitarbeiter:in führt aus. Innere Kündigung ist nicht weit davon entfernt, wenn die Entscheide der Etage oberhalb als unsinnig durchschaubar sind. Warum nicht gemeinsam entscheiden? Nichts, was mich betrifft, ohne mich – das ist privat für viele klar. Organisationen verkleinern den Entscheidungsraum, um Kontrolle auszuüben. Eine vermeintliche Kontrolle mit vielen Realitätsmythen – und mit Nebeneffekten. Sollten wir nicht an den Entscheidungsstrukturen ansetzen, Organisationsmitglieder wirklich einbeziehen und so den Einflussbereich aller erhöhen, wenn uns Stress ausserhalb unserer Kontrolle krank macht?

Und warum ist immer noch eine Karriere mit einer hohen Arbeitszeit verbunden? Weshalb arbeiten wir uns sprichwörtlich “zu Tode”? Gemeinsam kochen an der Arbeit ergibt gesundes Essen, soziale Kontakte und Bewegung. Gerade eben im Kulturlokal “Insieme” am Salersteig in Zürich erlebt, wundervoll nährend, in vielen Bereichen. Nein, effizient ist das vielleicht nicht, aber eventuell effektiv, wenn wir das Problem der “Great Exhaustion” tiefer an der Wurzel packen wollen.

Mit dem Blick auf Organisationen erhöhen wir bereits den individuellen Hebel.

Mit Future Ready nehmen wir genau diese Perspektive ein:

Wie können sich Organisationen tiefgreifend verändern, um die Probleme, die sie mitverursachen, von Grund auf anzugehen. Strukturen der Mitgestaltung, ein Mindset der Empathie, ein Lohnsystem, das die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt, Gewinn als Mittel zum Zweck.

Strukturen in Organisationen, die Menschen nicht mehr einvernehmen, Human-Needs, die höher als Business-Needs priorisiert werden, soziale Verteilung von Gewinn, sinnvolle Arbeit, lebensdienliche Geschäftsmodelle, die unseren Planeten und unsere Gesellschaft regenerieren statt Geld und Ressourcen extrahieren.

Eine Ebene höher: Die Beschleunigung der Gesellschaft

Auch Organisationen sind Teil ihres Kontextes, Teil der Gesellschaft um sie herum. Und die ist mehr und mehr global und komplex. Klimakrise, Ressourcen-Kriege, Demokratieversagen, Verlust der Biodiversität, Ozeanversauerung, Müllberge – Symptome der planetaren Erschöpfung.

Müll weiterhin einfach in den globalen Süden zu exportieren, schafft zwar saubere Strassen in Europa, löst das Problem aber nicht. CO2 mittels einer Maschine in den Fels einzulagern, wirkt dem Symptom entgegen, adressiert aber nicht das zugrundeliegende Problem der linearen Ressourcen-Verschwendung. Unser Wirken als Menschheit hat derweil eine solche Kraft erhalten, dass Wissenschaftler:innen rückblickend seit dem Jahr 1950 vom Anthropozän sprechen. Ein Zeitalter, in dem der Mensch den Planeten formt – ein Experiment gigantischen Ausmasses.

“The Great Acceleration” ist ein wesentliches Element des Anthropozäns. Verschiedenste Messgrössen steigen seit 1950 stark an. Bei einigen zeigen sich zwar mittlerweile Abschwächungstendenzen, die sind aber wie z.B. beim Fischfang auf natürliche Grenzen zurückzuführen.

12 Grafiken mit Kurven zu sozio-ökonomischen Trends
Quelle: https://futureearth.org/2015/01/16/the-great-acceleration/

 

12 Grafiken mit unterschiedlichen Kurven zu Erdsystem-Trends
Quelle: https://futureearth.org/2015/01/16/the-great-acceleration/

 

Von “The winner takes it all” zu “Earth for all”

Eine der wirklichen Grundursachen zeigt sich in den Grafiken deutlich: Wir leben in einer “Great Acceleration” Periode. Wie kommen wir also zu einer “grossen Entschleunigung”? Eine Gesellschaft und ihre Wirtschaft als Kreislauf oder als Donut zu sehen, sind zwei Ansätze.

Das Buch “Earth for all” aus dem Jahr 2022 vom Club of Rome, der bereits 1972 auf die “Grenzen des Wachstums” hingewiesen hat, schlägt fünf grosse, gesellschaftliche, globale Kehrtwenden vor, um den “Giant Leap”, den grossen Schritt, zu gehen:

  • Armut – Schulden erlassen
  • Ungleichheit – Dividenden teilen
  • Ermächtigung von Frauen
  • Andere Ernährungssysteme
  • Energiewende

Das sind grundlegende Änderungen. Nicht Symptombekämpfung. Der Sache auf den Grund gehen. Donella Meadows, Systemdenkerin und Co-Autorin von “Die Grenzen des Wachstums”, schlägt verschiedene Stufen für eine Intervention in ein System vor, deren Einfluss sich graduell erhöht. Verändert sich das zugrundeliegende Paradigma, dann verändert sich das Mindset, die Ziele, die Struktur, die Regeln, die Informationsflüsse und so weiter. Wie könnten solche paradigmatische Veränderungen aussehen:

  • Von Wettbewerb zu Kollaboration
  • Von Profit zu Purpose
  • Von Hierarchie zu Netzwerk
  • Von Ego zu Eco
  • Von Extraktion zu Regeneration
  • Von finanzieller Abstraktion zu Lebensdienlichkeit

Symptome hingegen sind eher auf Stufe der physischen Messgrössen angesiedelt, z.B. die Höhe der CO2-Konzentration. Wir können die CO2-Konzentration verringern, indem wir Wälder aufforsten und CO2-Maschinen bauen. Das sollten wir auch tun: Wir benötigen Interventionen auf allen Stufen, um Wirkung zu erzielen. Von den Symptomen gibt es aber viele: Wenn wir dort ansetzen, müssen wir eines nach dem anderen behandeln. Zudem ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich irgendwo ein anderes, neues Symptom zeigt, wenn wir das Paradigma als solches nicht sehen und Optionen dazu entwickeln wollen.

Grafik mit Titel Leverage Points
Quelle: https://www.innovationunit.org/thoughts/meadows-leverage-points/

 

Unsere Meinung: Alles herumdoktern an Symptomen nützt zu wenig, solange die Ursache der Symptome weiter aktiv ist. Wir benötigen tiefgreifende Veränderungen, die in Einklang mit unseren Aktivitäten der Symptombekämpfung geschehen.

Bei Future Ready konzentrieren wir uns auf Organisationen als Gegenstand der Intervention und auf 4 Wirkungsbereiche:

  1. Die Denkweise oder das Paradigma, aus dem das System – seine Ziele, Machtstruktur, Regeln und Kultur – entsteht
  2. Die Ziele des Systems
  3. Die Verteilung der Macht über die Regeln des Systems
  4. Die Regeln des Systems (Anreize, Bestrafungen, Einschränkungen)

Eine paradigmatische Intervention erfordert von Organisationen viel Mut. Wofür sollten sie es wagen? Was ist dabei die Belohnung? Überleben – und zwar wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Dieser Paradigmenwechsel bereitet Organisationen auf eine Zukunft vor, in der wir unseren Platz als wirkende Menschen in der Welt wiederfinden können.

Niemand weiss, was die Zukunft bringt. Wir glauben aber daran, dass es so wie jetzt nicht weitergeht. Darum suchen wir mit unseren Partner:innen nach neuen Paradigmen, die uns neu mit uns selbst, mit den anderen um uns herum und mit der Welt verbinden.

Wie siehst du das?